Mainz im Lichtermeer

Im August stand ich mit anderen Mitgliedern von Fallschirm Mensch am Mainzer Hauptbahnhof, weil uns die Berichte über die gezielte Zerstörung lebensnotwendiger Infrastruktur und den Einsatz von Chlorgas in Aleppo erschüttert hatten. Auch wenn der Verein den Schwerpunkt auf die praktische Arbeit mit Flüchtlingen setzt, wollen wir uns am 30. November um 19 Uhr mit vielen Menschen auf dem Gutenbergplatz treffen und Mainz wieder in ein Lichtermeer verwandeln.
Fallschirm Mensch hat im letzten November ein großartiges Zeichen gesetzt, als 800 meist junge Menschen dem Aufruf gefolgt sind und immer wieder ihre flackernden Kerzen angezündet haben, während sie friedlich durch die Innenstadt gingen, um an die Menschen zu erinnern, die auf der Flucht umgekommen sind. Als Schirmherrin der Piratenpartei durfte ich zum Abschluss der Kundgebung vor dem Mainzer Staatstheater folgenden Redebeitrag halten:

„Vielen Dank an alle, die diesen Schweigemarsch organisiert haben, und dafür, dass ich hier reden darf. Ich habe damit gerechnet, dass es kalt, nass und stürmisch wird. Mir ist aber auch bewusst, wie privilegiert wir sind, weil wir zumindest festen Boden unter den Füßen haben und die Aussicht, bald in ein sicheres Zuhause zu kommen. In Gedanken sind wir heute bei allen, die ihr Leben auf der Flucht verloren haben. Es gibt in unserer Stadt viele Menschen, die den Flüchtlingen zeigen, dass sie hier willkommen sind, aber die Toten werden davon nicht wieder lebendig.

In unserem Grundgesetz bekennen wir uns dazu, dass die Würde des Menschen unantastbar ist. Wie viele Menschen müssen noch traumatisiert werden und sterben, weil wir Flüchtlingen den sicheren Weg zu einem Ort ihrer Wahl versperren? Wäre es nicht denkbar, dass sie einfach mit einem Rückreiseticket nach Deutschland kommen können, um hier einen Asylantrag zu stellen?

Vor 25 Jahren habe ich zur Hauptsendezeit im ersten Programm einen Spielfilm gesehen und mir danach die Frage gestellt, in welcher Welt wir eigentlich leben – und leben wollen. „Der Marsch“ zeigte Menschen in Afrika, die sich unter der einfachen Idee „Wir sind arm, weil Ihr reich seid“ zusammengefunden haben. Sie marschierten durch die Wüste und kamen über das Meer bis nach Spanien, wo sie von Soldaten einer europäischen Eingreiftruppe aufgehalten werden.

Die großen Feindbilder eines Ost-West- oder Nord-Süd-Konflikts waren aus Sicht der Betroffenen vermutlich genauso sinnlos wie die Reduzierung der aktuellen Krisen auf einen Kampf gegen den IS. Die Diskussion um eine Festung Europa ist so aber alt wie die Öffnung der innerdeutschen Grenzen, die sich lange Zeit nur wenige vorstellen konnten.

Für mich als Piratin liegt unsere Zukunft darin, die Freiheitsrechte zu bewahren, für die wir in Deutschland und in Europa lange gekämpft haben. Wer weiterhin den Waffenexport begünstigt, Drohneneinsätze unterstützt und Flüchtlinge zu lebensgefährlichen Umwegen zwingt, tritt unser Grundgesetz mit den Füßen, das aus der Erfahrung mit zwei Weltkriegen und einem menschenverachtenden System heraus geschrieben wurde.“

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